Aspekte der Rezeption weltpolitischer Tendenzen in Österreich-Ungarn vor dem Hintergrund der Entwicklung in Ostasien (1894/95-1904/05) - FWF-Projekt P13200-HIS
Mitarbeiter: Mag. Dr. Georg Lehner (Email: georg.lehner@univie.ac.at ), Mag. Dr. Monika Lehner (Email: monika.lehner@univie.ac.at )
Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Wolfdieter Bihl
Kurzbezeichnung: Österreich-Ungarn im weltpolitischen Kontext 1894-1905
Der zeitliche Rahmen des Projekts wird durch zwei bewaffnete Konflikte determiniert, die als Wendepunkte in den asiatisch-europäischen Beziehungen zu bezeichnen sind: Der (I.) Chinesisch-Japanische Krieg 1894/95 machte deutlich, daß China die Rolle der "Supermacht" in Ostasien verloren hatte - der Russisch-Japanische Krieg (1904/05) zeigte, daß Japan als die neue Großmacht in Ostasien bereit und in der Lage war, es mit einer der traditionellen europäischen Großmächte aufzunehmen.
Die veränderte Situation forderte von den europäischen Mächten eine neue außenpolitische Ausrichtung und stellte speziell Österreich-Ungarn, das wie keine andere der "traditionellen" Großmächte auf Europa fixiert war, vor besondere Herausforderungen. Die Grenzen in Europa waren vorerst gezogen, in Mittel- und Südamerika waren im 19. Jahrhundert souveräne Staatsgefüge entstanden und in Afrika ging die Aufteilung der Einflusssphären unter den Mächten ihren Abschluss entgegen.
Die Teilnahme am "imperialistischen Wettlauf" stand jedoch für Österreich-Ungarn nicht im Vordergrund. Proponenten kolonialer Projekte konnten sich in den leitenden Kreisen der österreichisch-ungarischen Politik nicht jenes Gehör verschaffen, das zu einer Umsetzung ihrer Pläne hätte führen können - und dennoch erreichte die Beschäftigung der k.u.k. Diplomatie mit dem außereuropäischen Raum in dem Jahrzehnt zwischen 1894/95 und 1904/05 ein vorher nicht gekanntes Ausmaß.
Im dem Maße, in dem sich das politische Interesse der an überseeischer Expansion interessierten europäischen Mächte zwischen 1895 und 1905 Ostasien zuwandte, verfolgte auch die österreichisch-ungarische Diplomatie diese Entwicklungen - wenn auch zumeist unter dem Blickwinkel möglicher Rückwirkungen etwaiger "weltpolitischer Turbulenzen" auf das machtpolitische Gleichgewicht der sich in zunehmenden Maße definitiver gestaltenden europäischen Bündnissysteme.
Eben diese Beobachtungen (und damit einhergehend die Rezeption und Beurteilung) der Aktivitäten der anderen europäischen Mächte durch und in Österreich-Ungarn sind Gegenstand des Forschungsprojektes.
Die Berichterstattung der k.u.k. Vertreter im Ausland, Denkschriften unterschiedlichster Provenienz sowie die Protokolle der parlamentarischen Vertretungskörper beider Reichshälften werden speziell im Hinblick darauf untersucht, ob aus den Ereignissen in Übersee ernsthafte Rückwirkungen auf die machtpolitische Konstellation in Europa befürchtet wurden, beziehungsweise ob (und gegebenenfalls welche) Strategien die österreichisch-ungarische Außenpolitik dafür entwickelte. Damit verbunden ist die Frage, wie die österreichisch-ungarische Diplomatie die über Europa hinausgreifenden Aktivitäten der anderen Mächte beurteilte und somit in den "europäischen" Kontext einordnete.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Untersuchung der Eigendefinitionen der Stellung Österreich-Ungarns in der Welt. Es geht dabei nicht um eine Darstellung der "behördengeschichtlichen Entwicklung" der diplomatischen und/oder konsularischen Vertretungen Österreich-Ungarns im Ausland, es geht um die Erforschung der Rahmenbedingungen der Außenpolitik, der dieser zugrundeliegenden Ideen und der diese konkret bestimmenden Faktoren.