Auf dem Weg in die Moderne: Radikales Denken, Aufklärung und Konservatismus. Gedenkband für Michael Weinzierl
Birgitta Bader-Zaar, Margarete Grandner, Edith Saurer im Auftrag des Instituts für Geschichte der Universität Wien (Hrsg.)
Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 5
133 Seiten
Euro 19,90 / sFr 34,90
ISBN 978-3-7065-4335-4
Studienverlag
Inhaltsverzeichnis
Birgitta Bader-Zaar, Margarete Grandner, Edith Saurer
Einleitung
Ernst Wangermann
Radikales Denken in der österreichischen Aufklärung
Günther Lottes
Laizismus und Fundamentalismus als Erbe der Aufklärung
Matthias Middell
Konterrevolution in Frankreich, Konservatismus und Religion
Helga Schultz
Georg Forster und Polen – Irritationen und Vorurteile
Helgard Fröhlich
Kontinuität und Wandel: Radikales Denken der Levellers in der Englischen Revolution des 17. Jahrhunderts
Johann Dvorak
Eigentum und Freiheit, Wahlrecht und Demokratie in den Debatten der Armee während des Englischen Bürgerkrieges
Margarete Rubik
Aphra Behn, die erste professionelle englische Schriftstellerin: Ein Leben und Werk zwischen Progressivität und Reaktion, Feminismus und Konvention
Eveline List
Frierende Stachelschweine: Intellektuelle Freundschaften und die Psychoanalyse
Mikulas Teich
Gedanken über Michael Weinzierl, die Bethlehemskapelle und die "Internationale"
Publikationsverzeichnis Michael Weinzierl
Auszug aus der Einleitung
In Erinnerung an den am 19. Juni 2002 kurz vor seinem zweiundfünfzigsten Geburtstag unerwartet verstorbenen Kollegen Michael Weinzierl veranstaltete das Institut für Geschichte im Juni 2003 an der Universität Wien ein Symposium, das die vielfältigen Forschungsbereiche des zu Gedenkenden aufgriff – Aufklärung und Revolution, progressives Denken und Konterrevolution, besonders aber auch Religion und Nation. Viele der damals gehaltenen historischen Vorträge sind nun im vorliegenden Band versammelt, verknüpft mit persönlichen Erinnerungen von Freunden und Freundinnen.
Eröffnet wird die hier aufgelegte Sammlung mit Studien zum Denken der Aufklärung und ihrer Gegenbewegungen im Rahmen der Herausbildung der Moderne, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Religion. Ernst Wangermann, Professor emeritus der Universität Salzburg, geht dem „Radikalen Denken in der österreichischen Aufklärung“ nach. Hinsichtlich der Kritik an theresianischen und josephinischen Reformen hebt Wangermann besonders Joseph von Sonnenfels' Plädoyer für die Freiheit der Lehre und die Broschürenliteratur zur Zeit Josephs II. zu Grundrechten wie Presse- und Religionsfreiheit und zum Widerstandsrecht hervor. Günther Lottes vom Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam hatte in seinem Vortrag auf dem Gedenksymposium zum antirevolutionären Denken Edmund Burkes und zum politischen Konservatismus in Großbritannien gesprochen. Für den Band wählte er jedoch – auf seine Gespräche mit Michael Weinzierl in den letzten Jahren Bezug nehmend – das Thema „Laizismus und Fundamentalismus als Erbe der Aufklärung“. Hierbei vertritt Lottes die These, dass beide Denkmodelle als wesentliche Erscheinungen im Entwicklungsprozess der Moderne zu sehen seien, und geht insbesondere den Reaktionen von Protestantismus und Katholizismus auf die Wissenschaftsrevolution der Aufklärung nach. Dem Aspekt Religion im Kontext der Französischen Revolution widmet sich Matthias Middell, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Zentrums für Höhere Studien der Universität Leipzig, in seinem Beitrag „Konterrevolution in Frankreich, Konservatismus und Religion“. Er betont das wieder erwachte Forschungsinteresse an der gegenrevolutionären Bewegung, zu dem auch Michael Weinzierl in seinen Arbeiten beigetragen hat. Im Gegensatz zu den Entwicklungen in England sieht Middell es im französischen Fall als entscheidend an, dass Konterrevolutionäre auf einer breiten sozialen Basis Religiosität für ihre Ziele nutzten. Das Ringen zwischen einem aufgeklärten Weltbild und der unreflektierten Wiedergabe ethnischer Stereotypen illustriert Helga Schultz, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Neuzeit der Europa-Universität Viadrina Frankfurt an der Oder, anschaulich in ihrem Beitrag „Georg Forster und Polen – Irritationen und Missverständnisse“. Während Forsters antipolnische Äußerungen aus der Zeit seines Aufenthaltes in Wilna 1784-1787 im 19. und 20. Jahrhundert vielfach für politische Zwecke genutzt, ja als Vorläufer des NS-Rassismus gesehen worden sind, hebt die Autorin den Kontext eines europäischen Aufklärungsdiskurses zur „Erfindung“ Osteuropas (Larry Wolff) hervor.
Der zweite Schwerpunkt des Bandes befasst sich mit dem politischen Denken in England im 17. Jahrhundert, vor allem zur Zeit des englischen Bürgerkriegs. Die Historikerin Helgard Fröhlich beschäftigt sich mit der radikalen sozialen Bewegung der „Levellers“, von der auch Michael Weinzierl meinte, sie sei die erste demokratische Bewegung des neuzeitlichen Europa gewesen. Helgard Fröhlich bietet im Kontext des Wiederauflebens der geschichtswissenschaftlichen Debatte über den Stellenwert der Levellers einen Überblick über die neuere Historiographie zu den für die politische Ideengeschichte einflussreichen „Putney Debates“ und nimmt zu dieser Stellung. Auch für Johann Dvo¥ák, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, bilden die „Putney Debates“ – neben den Debatten des House of Commons – einen zentralen Fokus. Er wendet sich der Bedeutung des Eigentums in dieser Umbruchszeit zu und hebt die bemerkenswert modernen Aussagen von Parlamentariern und Armeemitgliedern zu Staat, Wirtschaft und Parlamentarismus hervor. Der Beitrag Margarete Rubiks, Literaturwissenschaftlerin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien, über „Aphra Behn, die erste professionelle englische Schriftstellerin“, reiht sich in das gegenwärtig rege Forschungsinteresse an dieser Autorin ein. Rubik geht den sozialen und politischen Überzeugungen Behns nach und schaltet sich in die Debatte über die Frage ein, ob Behn als progressiv oder konservativ zu bewerten sei, ob sie als frühe Feministin schrieb oder die konventionellen Geschlechterrollen akzeptierte.
Eine Kollegin und ein Kollege Michael Weinzierls wurden gebeten, ihre persönlichen Verbindungen zum Freund zu thematisieren. Eveline List, Historikerin am Institut für Geschichte der Universität Wien und Psychoanalytikerin, hat in ihrem Gedenken den Bogen zu einer Betrachtung von Tod und Freundschaft aus der Sicht der Psychoanalyse gespannt – „Frierende Stachelschweine: Intellektuelle Freundschaften und die Psychoanalyse“. In ihrer Analyse berücksichtigt sie besonders Freuds Erfahrungen der für die Entwicklung seiner Theorien zentralen Freundschaft zu Wilhelm Fließ. Die Erinnerungen Mikuláš Teichs, Emeritus Fellow des Robinson College der Universität Cambridge und Honorarprofessor der Technischen Universität Wien, führen hingegen zu so unterschiedlichen Themenbereichen wie der Beziehung der Hussitenbewegung zur Prager Bethlehemskapelle und der Geschichte der Internationale. Teich knüpft hier an Michael Weinzierls Interesse für die Bedeutung von Reformation und Gegenreformation für die Nationsbildung Österreichs sowie seine Vision von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit an.