7. Jahrgang 2007/Heft 1

Bildfunktionen in den Wissenschaften
Veronika Hofer, Marianne Klemun (Hrsg.)

Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 1/07
144 Seiten
€ 21.00/sfr 36.90
Einzelheft StudentInnen (Bestellung mit Beilegung einer Inskriptionsbestätigung): Euro 14,40
Zu Bestellen im Studienverlag

Beiträge

  • Annelore Rieke-Müller: Bilder der Schöpfung - Repräsentationen der Welt im konfessionellen Kontext der Frühen Neuzeit
  • Thomas Brandstetter: Herzpumpen. Wasserhebemaschinen um 1700 als Metaphern, Bilder und Strukturmodelle
  • Wladimir Velminski: mathesis & graphe. Leonhard Eulers Poetologien des Blickes
  • Kärin Nickelsen: "Abbildungen belehren, entscheiden Zweifel und gewähren Gewissheit" - Funktionen botanischer Abbildungen im 18. Jahrhundert
  • Sabine Brauckmann: Die Differenz von Embryoformen und Zellmorphologien: Eine epistemische Betrachtung

Forum

  • Siegfried Mattl: Bild und Geschichte. Aerofotografie, Marc Bloch, und der „spatial turn“
  • Mitchell Ash: Die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Bemerkungen über Visualisierungsdiskurse und -Strategien in der Geschichte der Psychologie
  • Eveline List: Das „Bild“ des psychischen Apparats in Sigmund Freuds Traumdeutung.

Neu gelesen

  • Michael Stöltzner: Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935)

Rezensionen

  • Oliver Hochadel: Olaf Breidbach, Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung
  • Franz Leander Fillafer: Luc Pauwels (Hg.), Visual Cultures of Science. Rethinking Representational Practices in Knowledge Building and Science Communication
  • Franz Leander Fillafer: Horst Bredekamp, Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst
  • Werner Michler: Horst Bredekamp, Darwins Korallen. Frühe Evolutionsdiagramme und die Tradition der Naturgeschichte
  • Hans-Christian Eberl: Astrid Deilmann, Bild und Bildung. Fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in populären Illustrierten der Weimarer Republik (1919–1932)

Editorial

Wissenschaftshistorische Positionen von Bildfunktionen

Bilder spielen auf vielen Ebenen des Wissens und der Wissenschaft eine entscheidende und je nach Bezugsfeld unterschiedliche Rolle. Wissenserwerb, Wissensproduktion, Wissensstabilisierung, Wissensiegitimierung, Wissensverteilung und Wissensverbreitung funktionieren außer über Texte auch über Bilder. Die Funktionen der Bildlichkeit sind innerhalb des Erkenntnisprozesses zunächst einmal deutlich voneinander zu unterscheiden, beginnend mit Ahnung, mit Formierung, über Konkretisierung wird Repräsentation zur Überprüfungsinstanz und kann zu der vorübergehenden Stabilisierung der Episteme beitragen. So haben Bilder das Vermögen, im Prozess des Vergegenwärtigens von wissenschaftlichen Ideen und Konzepten ebenso zu vermitteln, wie dass sie kognitive Anhaltspunkte und Brücken zwischen (vor-)wissenschaftlichen Annahmen und ihren Anschauungsobjekten herstellen.
Die wissenschaftshistorische Arbeit ist auf der Grundlage eines erweiterten Bildbegriffes unerlässlich. Dieser umfasst gleichermaßen Modelle, Zeichnungen, Graphen, Diagramme, Röntgen- und Computerbilder, Pflanzenbilder, Herbarblätter, Fotografien, Kartierungen, Dioramen, Museumsobjekte oder Formeln.
Bilder, Artefakte bzw. Spezimen stifteten in konstitutiver Weise seit der Renaissance die systematische Erweiterung ihrer eigenen Referenzverhältnisse mit den Akteuren und für die Akteure als Strategien des Belegens und Beglaubigens. Sie steigerten damit ihre diskursiven Anschiussmöglichkeiten. Unser Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sowohl die Debatte wie auch der praktische Umgang mit Bildern zeit- wie kulturspezifische Züge tragen. Bilder stiften Beziehungsverhältnisse zwischen den Akteuren und ihren Objekten, den Wissenschaftern untereinander über ihre Dinge und sind imstande, gegebenenfalls neue Bilder zu generieren.
Dass ein wichtiges Thema wie die Frage nach den Bildfunktionen in den Wissenschaften eigenständig auftreten kann, verdankt die Wissenschaftsgeschichte den Ergebnissen der bildbezogenen Auseinandersetzungen, die zunächst nicht innerhalb der Wissenschaftsgeschichte ausgetragen wurden. Die wirkmächtige Verwurzelung in der analytischen Philosophie hat die Bildlosigkeit als blinden Fleck in der wissenschaftsgeschichtlichen Debatte infolge der privilegierten strukturalistischen Analyse fange mitbestimmt. Die zunächst aus der Phänomenologie (Merlot-Ponty etc.) kommende zunehmende Bildsensibilität hat vor allem die Annäherung zwischen erkenntnis- und medientheoretischen Aspekten (Kuhn, Goodman etc.) angetrieben. Diese Annäherung hat die neueren Bild-Diskurse vervielfältigt. In der Diskursanalyse Foucaults wurde jene Richtung bereits eingeschlagen, die Wissen und Bedeutungsfelder als situativ bedingt versteht und die Sicht auf den Ereignischarakter von Diskursen freilegt.

Dem breiten Spektrum an Ansätzen (Böhme, Belting, Bredekamp), die sich zuletzt in den neuen Bildwissenschaften zeigten, verdankt unser Thema seine Aktualität und Dynamik. Gleichzeitig begründet sich dieses durch die Hinwendung der Wissenschaftsgeschichte zu Praktiken, weg von der Abhängigkeit von Theorien. Die Konzentration auf den Bildgebrauch, der unterschiedliche Konzepte bedient, generiert heute einen bunten Marktplatz von Diskursen.
Die neueste Wissenschaftsgeschichte transformierte jenen Repräsentationsbegriff, der zuvor hauptsächlich semiotisch gedeutet - die Perspektive privilegierend - entworfen wurde. Sie verwandelte den stabilen, auf normalisierte Subjekte abstellenden Begriff insofern, als Repräsentation infolge der elektronischen Medienrevolution nun eine neue Qualität erhielt.
In die rezenten Debatten, die ganz allgemein das Anliegen antreibt, den erneut problematisierten ontologischen und epistemischen Status von Bildern in den Wissenschaften einzukreisen, ist die Wissenschaftsgeschichte produktiv mit einbezogen. Man kann sogar mit einigem Recht behaupten, dass die Wissenschaftsgeschichte dieses wichtige neue Forschungsfeld insofern festigen hilft, als erst in wissenschaftsgeschichtlichen Studien die disziplinenhistorische und milieuspezifische Produktion und Verständnis im Detail nachzuzeichnen erlauben. Somit stellen die Bildwissenschaften gerade dort für die Wissenschaftsgeschichte einen Spiegel für ihre eigene disziplinäre Aktualität bereit, wo die überzeugende Verbindung zwischen den aus den Bildwissenschaften stammenden Ansätzen und Methoden sowie wissens- und wissenschaftshistorischer Forschung gelingt. Der Wissenschaftsforschung wird eine neue Dimension erschlossen über die erst noch historisch und soziologisch zu untermauernde Erkenntnis, dass besonders auch in den (harten) Naturwissenschaften die wissenschaftsinterne Sozialisierung über Texte und eben auch über das Sehen-Lernen von Bildern im Sinne von Konstellationen und Mustern sowie ganz allgemein durch das Erkennen-Lernen der Dynamik strukturhafter Ereignisse erfolgt.
Eine besondere Funktion erhalten Bilder immer in wissenschaftlichen Kontroversen, sobald sie im Überzeugungsprozess eine spezielle Relevanz zugewiesen bekommen. Wenn erfolgreiche Bilder mit ihren Konzepten stabilisiert sind, können sie sich verselbständigen, können der „ursprünglichen" Konnotationen verlustig gehen oder in andere Räume des Wissens wandern. Bilder haben in jener Zeit, in der sie als solche erzeugt werden, eine kulturspezifische Bedeutung. Sie markieren Bedeutungsfelder, die vergessen, verlernt, unkenntlich werden können. Sie werden umgedeutet. denotiert und oft mit völlig neuen Konnotationen überlagert. Zum Problemfeld der Bedeutung zählt der Einsatz der Bilder, dessen Status undeutlich wird. Damit können wissenschaftliche Bilder in der Geschichte ihre Adressaten verlieren und neue finden. Das haben Wissenschaftshistorikerinnen und Bildwissenschaftlerinnen gelernt.
Die Rekonstruktion wissenschaftlicher Diskurse und Tatsachen gewinnt durch die Einbeziehung para-textueller Elemente wie Illustration und Abbildung in die Untersuchung an Irritation und Distanzierungsmöglichkeit. Durch diesen neu erschlossenen Spielraum wird eine situationsbezogene Ausdeutung wissenschaftlichen Handelns gewonnen.

Damit könnte der latenten Gefahr der Einebnung von Heterogenität und Komplexitätsverlustes in historischen Erzählungen entgegengesteuert werden.
Unser Heft setzt mit einem Artikel Annelore Rieke-Müllers ein, der von einem konfessionellen, auf Luther zurückgehenden Bilderverständnis ausgeht, das mehr impliziert als die herkömmliche Erklärung des Bilderverbots in den Kirchen. Hier geht es um eine konfessionelle Anthropologie, welche die Formung des Menschen infolge seiner Abhängigkeit von Bildern beschreibt. Nach Luther sind zu unterscheiden: die erworbenen inneren Bilder, welche Abbilder äußerer Herkunft sind, und jene inneren Bilder, die eine Spiegelung göttlichen Wissens (Gedächtnis) darstellen. „Die Interpretation der Schöpfung inklusive der Menschen als Bild öffnete die Naturforschung der Frühen Neuzeit damit für die konfessionellen Kämpfe um die Bilder, denen wohl nur scheinbar ein Streit über künstlerische Darstellungen zugrunde lag" (Rieke-Müller). Besonders zu bekämpfende Bilder sind jene, die auf Fantasie gebaut sind, Das protestantische anthropologische Konzept ist nicht nur eschatologisch, sondern gewährt die Gewissheit der Partizipation an der Schöpfung. Der Mensch verfügt im Wissenserwerb über Bilder, in denen als Natursprache Wort und Bild einander abbilden, wobei das Wesen der Natur in Ordnung mündende Bilder nach außen trägt. Bilder und Abbilder der Schöpfung in Übereinstimmung zu bringen, war ein Ziel. dem sich Lehrsammlungen widmeten, Die Differenz der katholischen und protestantischen Sammlungen im 18. Jahrhundert, gezeigt anhand jener in Halle und in Kremsmünster, erklärt Rieke-Müller anhand des unterschiedlichen Umgangs mit den Dingen und ihren Anordnungen, wodurch spezifische Effekte der Visualisierungen erreicht werden.
Ausgangspunkt für Brandstetters Analyse der Bildfunktionen ist eine Ende des 17. Jahrhunderts erschienene Broschüre, in der eine von Hautefeuille konstruierte Wasserhebemaschine möglichst reibungsfrei funktionierende Pumpe neben einem Herzen dargestellt wurde. Das zeitgenössische, auf Descartes zurückgehende Wissenschaftsverständnis ging davon aus, dass ein Mechanismus in einem eindeutigen Bild einzufangen ist. Die Ähnlichkeit zwischen Pumpe und Herz geht aber auf den ersten Blick aus dem Bild nicht hervor, sondern erschließt sich erst durch Analogie. Der Vergleich wird durch eine Metapher ermöglicht. Die Funktionsweise der Metapher als Filter bezieht sich nicht auf die Funktionsweise des Mechanismus (des Pumpens), sondern auf die Materialität der Faser (Leder), die den Vergleich zwischen funktionierender Pumpe und pumpendem Herzen reibungslos herstellt. Die Funktionsweise des metaphorischen Filters besteht in der Fähigkeit, jene Bedeutungen zu sammeln, die weiterhin generierend wirken können.
Velminski führt uns in das St. Petersburg der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts. Seine Hauptfigur, der junge Leonhard Euler, stellt sich dem Problem der Konstruktion einer Generalkarte St. Petersburgs. Von seinem Arbeitsplatz aus überblickt Euler als Mitglied der Akademie im Turmzimmer der Kunstkammer die neu gebaute Stadt und ihr großzügiges Panorama. Von dieser erhobenen Position aus lernt er durch Blickübung in die Komplexität des Problems einzusteigen und die Stadt kognitiv räumlich zu organisieren. Die spezifische Wahrnehmungssituation geht einher mit der Lösung des Problems einer Übersetzbarkeit der Dreidimensionalität in die Fläche. In seinem berühmt gewordenen Ergebnis des Königsberger Brückenproblems setzt Euler verschiedene Graphen in einer Zeichnung zur Abstraktion ein, um seine Polyederformel zu entwickeln. Die graphische Auflösung des Problems bildet die Grundlage zur Konstituierung der Formel,
Mit einem zeichentheoretisch-semiotischen Ansatz erklärt Velminski Euters Einführung der Zahl n als geometrische Konstante qua Symbol für eine Projektion im doppelten Sinn des Wortes: einmal als in der Kartographie eingesetztes Funktionszeichen, zum anderen als poetologische Hingabe an eine Stadt der Zukunft.
Kärin Nickelsen zeigt für die Praxis der Botanik des 18. Jahrhunderts die Multifunktionalität der Pflanzenbilder und ihre Bedeutung jenseits ästhetischer Kategorien auf. Bilder wurden von Taxonomen verwendet, um den Nachweis einer Pflanzenentdeckung zu belegen. Sie unterstützen die Evidenz der Beobachtung. Solche Bilder wurden eingesetzt, um eine Referenz in brieflich ausgetragenen Debatten über strittige Fragen herzustellen. Bilder zirkulierten wie die Herbarbelege und die Beschreibungen zwischen den Experten. Gleichzeitig fungierten diese Bilder als Bestimmungshilfen. Die für eine Art entscheidenden Merkmale wurden in diesen Zeichnungen bildlich verstärkt, womit die Aufmerksamkeit gezielt gelenkt wurde. Nickelsen versteht die Pflanzenillustrationen als Modelle, die bei der Erwerbung botanischer Kenntnisse und auch im Selbstunterricht eine besondere Rolle spielten. Zwischen der abgebildeten Pflanze und dem Pflanzenbild besteht nach Nickelsen keine schlichte Ähnlichkeitsrelation, sondern eine Beziehung auf inhaltlicher Ebene, indem das Bild die Ableitung von Hypothesen erlaubt, die, auf reale Instanzen angewendet, als entweder wahr oder falsch beurteilt werden" (Nickelsen).
Wie in der Botanik spielt in der Embryologie die Visualisierung eine zentrale Rolle im Erkenntnisprozess. Sabine Brauckmann beschäftigt sich mit der Geschichte der Kartierung von Zellspezifizierung in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es geht um die Streitfrage, welche Potenzen Zellen im Entwicklungsverlauf umsetzen können und ob diese Entwicklung reversibel oder irreversibel abläuft. Dieser Disput wird über unterschiedliche Visualisierungsmethoden ausgetragen. Brauckmann vergleicht zwei verschiedene Zugänge zweier Protagonistinnen, die über das Problem des "Bildermachens" eine epistemisch wichtige Debatte der Embryogenese austragen. "Im Allgemeinen bedeuten diese Bilder Mittel, experimentelles Wissen zu fixieren" (Brauckmann). Brauckmann beschreibt den Rückkoppelungsprozess zwischen der Erprobung von Sehen als Erkenntnis durch Veränderung des technischen Settings mittels Färbungsmethoden. Den Unterschied zwischen diesen Repräsentationsweisen präpariert sie als Rekonfiguration im Sinne einer Neuausrichtung der Epistemologie der Embryogenese (Zelldifferenzierung) heraus.
Siegfried Mattl widmet sich einer Wissenschaft, die traditionell als bildlos galt. Für Marc Bloch, eine Zentralfigur der „Annales", kann jedoch Mattl die Bedeutung des Bildes für die epistemische Neukonzeption des Raumes in dessen Entwurf einer neuen
Nichtswissenschaft als zentral verorten. Aus der Weltkriegserfahrung des komplexen Wahrnehmungsprozesses der Aerofotografie, die der junge Marc Bloch als Pilot im Aufklärungsflugzeug kennen gelernt hatte, erwuchs ein neues Verhältnis zum Raum.

Das technische Bild der Aerofotografie ist mit dem gravierenden Problem konfrontiert, dass der bildtechnische Zugriff nicht in einem Bild bewerkstelligt werden kann, sondern, dass zwei völlig verschiedene Zugänge - übereinandergelegt - erst ein mögliches kohärentes Bild erzeugen. Mattl diskutiert die Übertragung der aerofotografischen Bestandsaufnahme mit ihren spezifischen Strategien und Möglichkeiten auf die kulturspezifischen Modellierungen der Landschaft als Paradigma einer Geschichte als Beobachtungswissenschaft', einer Geschichte, die wie zuvor keine andere den Raum empirisch fasst.
In seinem Forumbeitrag zeigt uns Mitthell G. Ash einen Faden der jüngeren Lesearten auf, die sich mit der problematischen Praxis des Visualisieruns in der naturwissenschaftlichen Psychologie von Descartes bis heute abzeichnen. Jeder Visualisierungsversuch ist in dem Dilemma des cartesianischen Substanzdualismus gefangen. Dieses Dilemma besteht in der bis heute unüberbrückbaren Dualität zwischen einer wissenschaftlichen Beschreibung und Deutung der sichtbaren Welt sowie der wissenschaftlichen Beschreibung und Deutung der Psyche. Ash verfolgt dieses uns aus Descartes' Dioptrik überlieferte Problem, eine anatomische Lokalisation und eine mechanische Verarbeitungsweise des Erkennens als offene Frage, ob und inwieweit die Erkenntnisse über das Kognitive vorwärts zu bringen sind. Das Problem des Zugriffs löst auch Kant nicht auf, sondern hält es in der Schwebe zwischen der Forderung nach einer systematischen Naturlehre der Seele und der Ablehnung einer Seelenwissenschaft. Ash diskutiert die neuesten Arbeiten, die dem Verhältnis Kants zur cartesianischen Psychologie eine neuere Interpretation zufügen. Den rezenten Versuchen namhafter Hirnforscher, eine Korrespondenz zwischen Molekül- und Gedankenordung theoretisch und experimentell zu begründen, widmet Ash seine abschließenden kritischen Bemerkungen.
Eveline List diskutiert die Funktionen von Freuds Bild des „Psychischen Apparates" in dessen Traumdeutung. Für sie bestehen diese in der „Illustration" von Freuds Genese des Verständnisses der Vorgänge und in der Referenz Freuds zu Gustav Theodor Fechner, der seinerseits eine solche Visualisierung nicht realisierte. List verortet diese Visualisierung als Modell von psychischen Prozessen, die neurologische Konzeptionen abgelöst haben. Freuds Beschreibung des Psychischen Apparates formulierte er analog einem hydrodynamischen Modell. Die Irritation, welche die Thematik des Zugangs dieses Forumbeitrages antreibt, besteht darin, dass Freud einerseits Lokalisation im konventionellen Sinn ablehnt und andererseits ihre Illustration gleichzeitig eine bildhafte topologische Sprache pflegt.

Veronika Hofer und Marianne Klemun

Abstracts

Mitchell Ash: Die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Bemerkungen über Visualisierungsdiskurse und -Strategien in der Geschichte der Psychologie

In this text a number of problems related to discourses and practices of visualisation in natural scientific psychology from Descartes to the present are presented and discussed. The argument begins with the dilemma created by Cartesian (substantialist) dualism. Because this doctrine limits natural science to extended, meaning visible and quantifiable phenomena, mental events, which by definition are not extended in space, appear to be inaccessible to natural science. The philosopher Kant, experimental psychologists of the nineteenth century, and modern neuroscientists have all tried to resolve this dilemma in various ways, but never with complete success.

Thomas Brandstetter: Herzpumpen: Wasserhebemaschinen um 1700 als Metaphern, Bilder und Strukturmodelle

Around 1700, different attempts at constructing pumps on the model of the human heart were made. This text asks for the epistemological and cultural conditions which laid the ground for the translation of a mechanicist metaphor – the heart as a pump – into a three-dimensional object. As mechanicism rested on the primacy of visibleness, drawings held an important place in this process. But the transition from verbal description to material object was not without frictions: the mathesis universalis could not conceive the materiality appertaining to actual devices, which was therefore excluded from the realm of knowledge. However, as an example will show, this materiality did appear all the more in the imaginary of inventors.

Sabine Brauckmann: Die Differenz von Embryoformen und Zellmorphologien. Eine epistemische Betrachtung

Around 1880 comparative anatomists, histologists, and experimental embryologists agreed that embryogenesis involves groups of cells undergoing morphogenetic movements and phenotypic differentiation. To visualize the presumptive fate of these cells one depicted cell migration in images, later called fate maps, and compared them to specification maps. Until the 1940s one had accumulated a solid body of knowledge that was furnished by a gallery of images. However, many of these figures perpetuated optical illusions and, therefore, numerous review articles and even classical textbooks failed to distinguish between fate maps and specification maps. At best they represented optical hybrids of cell migration, layer movements and virtual mapping without differentiating between the morphogenesis of embryonic layers and cell shapes. My paper compares the fate maps to the hand drawings of cell specification which two female biologists published in the 1930s. My objective is (1) to demonstrate to what extent biological specialization was coerced to fabricate ‘exact’ images, and (2) to elaborate the perceptive difference between ‘fate’ and ‘specification’.

Eveline List: Das “Bild” des Psychischen Apparats in Sigmund Freuds Traumdeutung

The chapter on “The Psychology of the Dream-Process” in Sigmund Freud’s “Interpretation of Dreams” (1900) contains a drawing that is to illustrate a dynamic model of the “psychic apparatus”. This represents a turning point in the development of psychoanalysis, documents Freud’s indebtedness to Gustav Theodor Fechner, and demonstrates visually a “regressive” process characteristic to all sensual perception. This very “regressive” force tends to counteract intellectual insight in scientific research just as in the psychoanalytic cure.

Siegfried Mattl: Bild und Geschichte. Aerofotografie, Marc Bloch, und der „spatial turn“

Marc Bloch has become famous – among other aspects of his work – for providing basic concepts of the “spatial turn” in history. This article shows, in which way Blochs ideas of “durée” can be linked to his experience as an intelligence officer in the First World War. Exploring aerial fotografies of the battle ground, especially in the case of serial fotography, stimulated the reading of space as co-presence of different historical structures. By analyzing the technology of aerial fotographs, the article demonstrates, how “imaging” during the War became a major source for new perspectives in historiografy and theory.

Kärin Nickelsen: “Abbildungen belehren, entscheiden Zweifel und gewähren Gewissheit” – Funktionen botanischer Abbildungen im 18. Jahrhundert

In describing the functions of botanical illustrations, most authors have, so far, picked up Claus Nissen’s standard notion that botanical illustrations were meant to “replace the actual plant specimen for fellow researchers at a distance in time or place” [Nissen (1966), p. 6]. In this paper, I am exploring three lines of interpretation of Nissen’s statement: (i) presenting evidence of new phenomena, (ii) serving as points of reference in scientific debates and (iii) facilitating the classification of unknown plant specimens. However, I shall argue that eighteenth-century botanical illustrations predominantly served as comprehensive descriptions, which entailed far more than simply replacing a specimen. Furthermore, illustrations were used as information sources while preparing new images. The latter is of particular interest to today’s historians of science, since, seen from this perspective, botanical illustrations provide exceptional insight into the working practices of botanists and draughtsmen, that otherwise are not documented.

Annelore Rieke-Müller: Bilder der Schöpfung – Repräsentationen der Welt im konfessionellen Kontext der Frühen Neuzeit

The article deals with the role of images as representation of the world in confessionalism in Early modern european collections. It argues with iconoclastic tendencies to cause a discourse of pictures and images not only in art, but also in other aspects of the representation of the world. In Lutheran framework man had not only to control his inner visions to get to God. He also could not be a creator by himself as he was in the scholastic philosophy. Besides this anthropological argument Protestant belief referred to the visual natural world as image. It was the representation (figura) of the forma of the things God created. Rhetorical interpretations of nature therefore also arouse problems. These different aspect of the role of images in confessional context show an extensive topic to argument with. The article follows these beliefs in the representation of the creation in two different collections that were founded in the middle of the 18th century: the Naturalienkammer of the Francke´sche Stiftungen at Halle and the Mathematische Turm at Kremsmünster.

Wladimir Velminski: mathesis & graphe. Leonhard Eulers Poetologien des Blicks

Beginning with the twenties in the eightienth century Russian scientists organised and participated in numerous expeditions to the far off parts of Russia. The first academic expedition on behalf of astronomy was undertaken in the years 1727–1730. The task was to determine the exact location of some special sites in the northern part of Russia. The young Leonard Euler, who has been called at the academy of sciences in Saint Petersburg through the intervention of Daniel Bernoulli and who in his first years at the academy has been in charge of the department of cartography took part at this expedition. Thanks to the Swiss scholar Euler the solution of a mathematical problem was promoted, which was at the agenda of all scientists in the western world: in the production of maps the question is to what extent the cartographic view of the “Clionian inspirations” can be transformed into exact sciences. In an original way Euler put Cartesian ideas in physics together with some of Leibnitz’ mathematical findings thus developing the mathematical apparatus of his days far ahead.